Theoretische Grundlagen zur Hermeneutik und Sequenzanalyse
Aus kollaboratives online-Interpretieren
Version vom 26. Februar 2018, 13:19 Uhr von Cbuchheim (Diskussion | Beiträge)
Sequenzanalyse (SQ) in der Hermeneutik
- Begriff bedeutet im Kern erst einmal, dass Daten anlang ihrer zeitlichen Entstehung, also chronologisch, interpretiert werden
- d.h. es sind keinesfalls Daten aus einem späteren Zeitpunkt zu nutzen um einen früheren Zeitpunkt zu erklären
- Ziel: Die Rekonstruktion der handlungsgenerierenden Regeln oder die (Re)Konstruktion der sozialen Bedeutung von Handlungen. Also dem Finden einer Sinnfigur / latenten Struktur aus dem Text heraus, mit deren Hilfe soziales Handeln erklärt werden kann. Dabei wird angenommen, dass die handelnden Subjekte selbst nur in Ausnahmefällen die volle Bedeutung ihrer Handlung kennen.
- SQ wird vor allem dann verwendet, wenn es um Deutung der Tiefendimension geht
- Da die SQ als aufwendig und unpraktisch gilt, verlässt man den Raum alltagsweltlicher Interpretation. Dabei wird die SQ ein Werkzeug zur “Zerstörung der eigenen Vorurteile während der Interpretation”, da eine strikte Analyse dazu führt, alle geltenden “Vorurteile, Urteile, Meinungen und Ansichten in der Regel schnell zusammenbrechen”
- Dennoch ist es wichtigen, mit soziologischem Blick auch den Vorgang des eigenen Deutens zu betrachten: Interpretative Soziologie ist auch immer die Soziologie des Interpretierens.
- SQ wird mit einer interaktionistischen Strukturanalyse begründet.
- interaktionistisch: Lebenspraxis zwingt zu Handlungen, ohne dass für die konkrete Handlung bereits eine Begründung bekannt ist. Handeln gilt also in Lebenspraxis nicht als vornherein determiniert, daher permanentes entstehen neuer Handlungen möglich.
- Struktur: Produktion neuer Handlungen vollzieht sich anhand sozial vorgedeuteter Bahnen, welche rekonstruierbar sind. realisiert sich in der sequentiellen Anordnung ihrer Äußerungen
- Nur Einzelfallanalysen. Standardisierte und großflächige Erhebungen werden aus methodologischen Gründen abgelehnt.
Voraussetzung für empirisches Vorgehen (Prinzipien der SQ)
- Bedeutung wird regelgeleitet von den Mitgliedern einer Sprach- und Interaktionsgemeinschaft produziert. D.h. Wer Mitglied einer solchen Gemeinschaft ist, kann sowohl Bedeutung gültig konstruieren, als auch Rekonstruieren. Günstig dabei hat sich die gemeinsame Interpretation erwiesen (Prinzip der Gruppeninterpretation)
- Bei der Interpretation ist der Handlungsdruck aufzulösen, d.h. die Analyse findet ohne Zeitdruck statt (Prinzip der Entlastung vom Handlungsdruck)
- Im zu analysierenden Text gilt kein Detail als unwichtig oder zufällig. (Prinzip der Totalität)
- Interpretation wird Zug um Zug vollzogen (Prinzip der Sequentialität)
- SQ benötigt Radikales und unvoreingenommenes sich-einlassen auf den Fall
- Kontextwissen über die Persönlichkeitsstrukturen der Beteiligten sind auszublenden (Prinzip der Kontextfreiheit)
Vorgehen bei der SQ
- Simples Vorgehen: Öffnen des Interaktionsprotokolls und beginnen mit der Interpretation der ersten Einheit
- Was dabei als Sequenz, bzw. als Einheit festgelegt wurde gilt als sekundäres Problem.
- Leseartenproduktion: Beginn der Interaktion betrachten und gedankenexperimentell für diesen turn möglichst viele Kontextbedingungen zu entwickeln, welche die Äußerungen verständlich und pragmatisch sinnvoll erscheinen lassen. Leseart = sinnergebende Geschichte. Lesearten repräsentieren unterschiedliche Aktualisierungen von Handlungsregeln und deren Geltungsbedingungen
- Explikation der Handlungsregeln: Die pragmatischen Implikate der einzelnen Geschichten sind nun auszubuchstabieren. Ziel ist das Aufzeigen des gesamten möglichen Handlungsraum des Handlungssystems. “Je ausführlicher die latente Sinnstruktur des ersten Interakt bestimmt worden ist, desto deutlicher und konturierter läßt sich in der sequentiellen Analyse das den Fall abdeckende, spezifische Interaktionsmuster herauskristalisieren.” (Oevermann et al. 1979, S.420)
- Überprüfung der Handlungsregeln, Ausschluss von Lesearten: Welche Regeln wurden tatsächlich verwirklicht, welche wurden abgewählt? Aufschlussreich dabei nicht allein, welche Lesearten sich als kompatibel mit dem gegebenen Kontext erweisen, sondern auch, welche Handlungsmöglichkeiten am ende ausschieden.
- Als nächstes wird sich der nächsten Sequenz gewidmet und das vorgehen wird wiederholt: Leseartproduktion, Explikation der pragmatischen Implikationen, Vergleich mit empirischer Realisierung, Ausschluss von Lesearten