Theoretische Grundlagen zur Hermeneutik und Sequenzanalyse: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 10. April 2018, 11:33 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Was versteht man unter “Sequenzanalyse”?
Die Sequenzanalyse wird in hermeneutischen Methodiken, wie z. B. in der objektiven Hermeneutik oder der Habitushermeneutik angewandt. Hermeneutische Methodiken dienen dazu latente Sinn- und Bedeutungszusammenhänge offen zu legen und dadurch Praktiken und soziale Bedeutungen von Interaktionen und Handlungen sowie den Habitus rekonstruieren zu können. Hierzu muss das Datenmaterial (z. B. Interviews oder Gruppendiskussionen) zunächst aufgebrochen und interpretiert werden, wozu das Verfahren der Sequenzanalyse dient. Wir haben uns hier für eine chronologische Vorgehensweise entschieden (Maiwald 2015, S. 2-4 [1]), Reichertz 2011, S. 1, 3f, 23 [2]) auch wenn Bremer und Teiwes-Kügler davon ausgehen, dass sich beispielsweise Habitusmuster in allen Sequenzen finden lassen. Als Sequenz wird dabei eine Sinneinheit des Interviews verstanden, d. h. eine neue Sequenz beginnt, wenn von der interviewten Person ein neues Thema oder ein neuer Zusammenhang begonnen wird.
Vorgehensweise bei der Sequenzanalyse
Ziel der Interpretation einzelner Sequenzen – vor allem in Gruppen – ist es, möglichst viele Lesarten der einzelnen Sequenz zu erhalten. Hierfür ist es wichtig all die Gedanken zu notieren, die beim Lesen der Sequenz entstehen, d.h. man entwickelt gedankenexperimentell möglichst viele denkbare Umstände und Kontextbedingungen, die die Äußerungen im der Sequenz verständlich und sinnvoll erscheinen lassen (Bremer/Teiwes-Kügler). Die unterschiedlichen Lesarten dienen als „Spuren“, die erste Hinweise auf mögliche Habitusmuster liefern. „Diese ,ersten Spuren‘ müssen im Verlauf der weiteren Auswertungsarbeit überprüft, ergänzt und zum Teil auch korrigiert werden. Wichtiger als schlüssige Antworten sind zu diesem Zeitpunkt Fragen und Hinweise, die bei der weiteren Bearbeitung eine Richtung anzeigen und weiterverfolgt werden können.“ (Bremer/Teiwes-Kügler 2013: 208)
Voraussetzung für empirisches Vorgehen (Prinzipien der Sequenzanalyse)
- Um die Bedeutung von sozialen Interaktionen einer Sprach- und Interaktionsgemeinschaft erfassen und rekonstruieren zu können, wird vorausgesetzt, dass man selbst zum Mitglied jener Gemeinschaft zählt. Als unterstützend dabei sollte die gemeinsame Interpretation in einer Gruppe angewandt werden. (Prinzip der Gruppeninterpretation)(ebd., S. 13 [2]).
- Der Interpretationsvorgang selbst sollte ohne Zeit und Handlungsdruck vollzogen werden, dass eine umfassende Analyse ermöglicht wird (Prinzip der Entlastung vom Handlungsdruck) (ebd. [2]).
- Der zu interpretierende Text gilt in seiner Gesamtheit. Kein Detail ist dabei unwichtig oder als zufällig zu bewerten (Prinzip der Totalität) (ebd., S. 14 [2]).
- Aus dem Material sind nur Geschichten und Lesearten zu bestimmen, die vernünftigerweise oder wahrscheinlich durch den Text zu erschließen sind. Absurde Lesearten oder Geschichten, wie beispielsweise die Vermutung, es handele sich um einen böswillig zusammengestellten Text oder um eine Theateraufführung, sind dabei vollkommen auszuschließen (Prinzip der Sparsamkeit) (ebd. [2]).
- Die Interpretation selbst wird Zug um Zug, also Sequenz für Sequenz, vollzogen (Prinzip der Sequentialität) (ebd., S. 18 [2]).
- Außerdem ist Kontextwissen über die Persönlichkeitsstruktur der Beteiligten auszublenden (Prinzip der Kontextfreiheit) (ebd., S. 19 [2]).
Warum Sequenzanalyse?
Die Sequenzanalyse wird vor allem dann verwendet, wenn es um die Deutung der Tiefendimension und um Strukturen geht. Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt in der Aufwendigkeit und Unhandlichkeit der Methode. Was zunächst paradox klingt, führt uns, wenn strikt durchgeführt wird, zur “Zerstörung der eigenen Vorurteile” und weg vom Raum alltagsweltlicher Interpretation. So brechen alle geltenden Vorurteile, Urteile, Meinungen und Ansichten in der Regel schnell zusammen(ebd., S. 2f [2]). Jedoch bleibt es wichtig, den Vorgang des eigenen Deutens mit soziologischem Blick selbst zu betrachten. Denn, Interpretative Soziologie ist auch immer die Soziologie des Interpretierens (ebd., S. 6 [2]).
Die Logik hinter der Sequenzanalyse bezieht sich auf zwei Grundaspekte, dem Interaktionistischen-Aspekt und dem Struktur-Aspekt. Die Lebenspraxis zwingt den Akteur zu Handlungen, ohne dass für die konkrete Handlung selbst dem Akteur eine Begründung bekannt ist. Deswegen ist ein permanentes Entstehen neuer und spontaner Handlungen möglich (ebd., S. 16f [2]). Aber auch wenn neue Handlungen prinzipiell jederzeit entstehen können, bedeutet das nicht, dass sie sich völlig zufällig gestalten. Die Produktion neuer Handlungen vollzieht sich anhand sozial vorgedeuteter Bahnen, welche generell rekonstruierbar sind.
Weiterhin ist zu beachten, dass die Sequenzanalyse lediglich für Einzelfälle nutzbar ist. Standardisierte und großflächige Erhebungen werden aus methodologischen Gründen abgelehnt, da ein radikales und unvoreingenommenes sich-einlassen auf den Fall nötig ist. (ebd., S. 17f [2]).
Literatur
- ↑ Maiwald, Kai-Olaf (2005). Competence and Praxis: Sequential Analysis in German Sociology [46 paragraphs]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 6(3), Art. 31, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0503310.
- ↑ 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 Reichertz, Jo (2011): „Die Sequenzanalyse in der Hermeneutik“, in: Soziologie-ley.eu, 18.04.2014, URL: http://www.soziologie-ley.eu/mediapool/112/1129541/data/Sequenzanalyse.pdf, Abruf am 02.03.2018